DIE LIEBE WOHNT IM HERRGOTTSWINKEL

Gerne veröffentlichen wir auf unserer Homepage wiederum einen Essay unseres Oblaten, Herrn Peter Altmannsperger.

Auf der Suche nach der verlorenen Identität

Kinder der Globalisierung

Offene Kommunikationsstrukturen und grenzenlose Mobilität haben unserer Zeit eine bisher nie dagewesene Lebensqualität geschenkt. Der Preis dafür ist hoch. Die neuen Errungenschaften machen uns zu Suchenden. Hierarchien verflachen, Dialoge werden banal, Erlebnisse austauschbar, Wahrheiten sind beliebig. Der Traum der digitalen Welt, in uferloser Freiheit alles zu zerlegen, ist zum Albtraum geworden.

Der Sinn unseres Daseins scheint im Relativieren zu liegen. Jede Festlegung gilt als verkrampft, uncool oder gestrig. Beschämend für die Erwachsenen ist es, wenn die eigenen Kinder nach Heimat und Identität fragen, aber keine vernünftigen Antworten erhalten. Die Kinder der digitalen Globalisierung suchen Wege aus der Gleichschaltung. Sie ahnen, dass es einen Widerspruch gibt zwischen dem Wunsch des Ideologen, Gleichheit durchzusetzen und der Gewissheit, dass wir als Menschen ohnehin alle Kinder Gottes sind. Im irdischen Leben, das uns geschenkt ist, sind wir dagegen einzig. Wenn wir zu unserem Herrn Jesus Christus beten, tun wir dies, weil unsere Seele Gott schauen will. Unsere Seele ist sehr lärmempfindlich. Sie mag es gar nicht, wenn uns Ideologen an-schreien, die Wahrheit liege in Freiheit und Gleichheit. Von der Liebe hören wir dabei nur wenig.

Identität macht den stabilen Charakter unserer Persönlichkeit aus. Sie beantwortet zwei Fragen: „Wer bin ich?“ und „Wo gehöre ich hin?“ Beide Rätsel können nicht ohne die Liebe gelöst werden. Ohne die Liebe bleiben wir voller Unruhe. Weltliches Treiben wogt in einem morastigen Becken aus Gewinnstreben, Machtansprüchen und narzistischer Selbstverwirklichung hin und her. Manche halten sich darin ein Leben lang auf und wundern sich, dass ihre befleckte Seele Gott nicht sieht. Sie verstehen deshalb auch nicht, dass die katholische Kirche als unsere Mutter jeden einzelnen Menschen liebt. Erst in unserer Verwiesenheit auf die Liebe Jesu Christi, die wir als Teil der betenden Gemeinde erwidern, erschließt sich eine Ahnung von Identität. Bevor wir zum Herrgott schauen, müssen wir zunächst geerdet sein. Daher besteht die stärkste Klammer unserer gewachsenen Identität im gelebten Glauben an die unerschöpfliche göttliche Liebe. Wenn Moderatoren die Gäste in ihrer Gesprächsrunde fragen, ob denn in unserer Zeit Gott überhaupt noch eine Rolle spielen könne, duckt sich unsere Seele vor Entsetzen. Sie spürt in diesem Moment, wie groß der Unfrieden dort ist, wo die Verliebtheit in unbegrenzte Möglichkeiten die Liebe zu Gott ersetzt.

Erdung und Heimat

Aus dieser Unreife kann keine Identität gedeihen. Noch einmal: Es sollte den Erwachsenen peinlich sein, wenn junge Leute nach Heimat fragen, nach Erdung, nach Liebe, Identität und Sinn – und wenn sie auf diese Fragen nur stotternde Antworten erhalten. Vor der Europawahl haben wir große Worte gehört. Doch in der Antiphon zu Psalm 57 lesen wir: „Denkt an das Wort: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr“. Es zeugt von der Hybris unserer Zeit, wenn wir dieses Wort ignorieren. Viele meinen, im 21. Jahrhundert sei man als aufgeklärter Mensch erst wirklich angekommen, wenn man sein eigener Herr ist. Junge Leute spüren das. Sie fühlen im tiefsten Grunde ihrer Seele, dass erwachsenen Vorbildern die Erdung fehlt. Sie vermissen die identitäts-stiftende Kraft des Herrgottswinkels, in dem die Liebe wohnt. Jedes Haus mit einer Familie ist ein kleines Kloster. Der Mantel der Liebe wärmt diesen Ort des Herzens, den Nukleus der Heimat unseres Herrn Jesus Christus. Der gesunde Menschenverstand unserer Jugend liegt offen da. Er ist bei weitem nicht so arg verschüttet, wie bei denjenigen Erwachsenen, deren Charakter im Treiben der Welt verloren ging. Vielleicht sollten manche Politiker und Redakteure auf die leise Stimme der Seele hören. Dann würde ihnen klar, warum die Wahlbeteiligung immer mehr abnimmt.

Weil wir selbst nicht mehr geerdet sind, schauen uns die Kinder mit großen Augen an – sie verstehen nicht, warum sie keine Antworten erhalten, warum die Erdung als Grundlage unserer Liebe zu Gott nicht mehr zu Hause sein darf, sondern sich im zugigen Terrain zwischen Kommunikation und Mobilität auflösen soll. Ein Verlust an Identität ist häufig das Ergebnis von Unreife. Sie gleicht einer gefährlichen Schlittenfahrt des Eigen-willens, der sich an keine vernünftige Spur hält. Die Freiheit, Jesus Christus zu lieben, erlangen wir nur durch Verzicht, nicht durch relativierendes Ausleben.

Wir sind unruhig im Geiste, weil wir unsere Identität allein auf Erden suchen. Auf Erden finden wir aber keinen Frieden ohne die Liebe zu Gott. Im Psalm 146 lesen wir:  „Verlaßt Euch nicht auf weltliche Fürsten, denn sie bringen euch keinen Frieden.“ Wer das verstanden hat, geht zum Gehabe der Mächtigen, die uns mit irdischer Freiheit und Gleichheit locken, auf Distanz. Wer das lebt und verinnerlicht und wer das weltliche Treiben von diesem Fundament des Eigentlichen aus betrachtet, kann durch Mächtige, Märkte und deren Ideologen nicht verunsichert werden. Er lebt in und mit einer Identität, die ihn über genau dieses Begehren erhaben macht.

Vor diesem Hintergrund erhält Heimat als sinnstiftende Komponente unserer Identität eine zentrale Bedeutung. Es hat wohl seinen Grund, weshalb heimatverbundene Menschen so gesammelt wirken. Sie ruhen in sich. Es bereitet große Freude, beispielsweise im Bayerischen Wald oder in den Gemarkungen des Gäubodens am gedeckten Tisch des Herrn zu weilen und zu spüren, wie die Seelen der Menschen in sich ruhen, anstatt immer nach etwas Neuem oder nach Ablenkung zu streben. Die Beliebigkeit ist die Tochter des Relativismus – beide treiben ein gefährliches Spiel mit unserem Eigenwillen, welches sich, wie unser emeritierter Papst Benedikt XVI nicht müde wurde zu sagen, bis zur „Diktatur des Relativismus“ steigern kann. Es war eine Warnung vor einer gleich-machenden Austauschbarkeit, die keine Heimat mehr kennt, die unseren Herrn Jesus Christus und seine Liebe vergisst.

Identität ohne Liebe?

Aber viele wollen in einer geerdeten Identität leben – denn nach dem inneren Frieden sehnt sich die Seele immer, auch die des notorischen Unfrieds. Die meisten bedienen sich auf der Suche nach Erdung verschiedener greifbarer, den Sinnen unmittelbar zugänglicher Möglichkeiten: Flugreisen, Wellness-Kuren, Konsumprodukte, lockende Angebote feilgebotener Waren, Glück durch wechselnde Partnerschaften ohne Verantwortung, Anstrengung, Demut, Verzicht und innere Einkehr. In diesem weltlichen Sinn sollen wir alle gleich sein. Wir sollen sogar im Sinne einer „Political Correctness“ das gleiche denken. Gott hat uns aber als einzigartige Menschen geschaffen. Im Glauben sind wir gleich – im irdischen Leben ruhen wir im Frieden unserer Identität, wenn wir frommen Verzicht auf Selbstüberhöhung und Eitelkeit üben.

Anders gesagt: Gott hat uns bereits eine Identität verliehen. Wir sind als Kinder Gottes alle gleich. Daher streben wir, ob wir uns das eingestehen oder nicht, nach der Liebe zu Gott. Gott ist das Ziel unserer Liebe. Doch der Weg unserer Liebe zu Gott ist so individuell wie unsere Heimatgemeinde, wie unsere identitätsstiftende Erdung in Gottes großem Garten. Unser Gebet zu Gott ist der Kern unserer Individualität, sozusagen über das Kreuz die eigene Radikalisierung der Liebe auszuleben. In unsere Liebe zu Jesus Christus dürfen wir radikal sein. Es ist eine Ausschließlichkeit, die niemals das Maß der Mitte des heiligen Benedikt von Nursia verlässt. Sind wir hingegen auf Erden radikal, verlieren wir unseren Frieden. Die Identität irdischen Treibens ist eine Mogelpackung – sie ist nur geborgt. Sie implodiert im Wandel des Zeitgeistes, weil sie nicht von der Liebe zusammengehalten wird.

Nach Matthäus bedarf es der Anstrengung, um sich zu Jesus Christus zu begeben: „Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng und der Weg dahin ist schmal und nur wenige finden ihn“ (Matthäus 7/14). Dieser Weg verlangt also nach der Radikalisierung der Liebe.

Heute werden derartige Gedanken verdrängt. Sie entspringen aber Gottes Wort, durch die Propheten, die ja von Gottes Geist inspiriert waren, an uns Menschen in der Heiligen Schrift überliefert. Uns fehlt die Segnung der Einsicht in die göttliche Wahrheit. Nicht alle bauen auf die liebende Strahlkraft der katholischen Kirche, die als Mutter das Heil zu uns Menschen trägt. Wir sprechen hier vom erforderlichen Seelenheil. Das allein wirkt identitätsstiftend. Dazu gehört auch ein Gedanke, der uns bewegt, wenn wir am Sonntag die Predigt in der Benediktinerabtei Metten gehört haben: „Der Mann spricht mir aus der Seele“.

Es genügt eben nicht, die Seele baumeln zu lassen. Sie will die Wahrheit hören. Sie sehnt sich nach göttlicher Erdung. Natürlich will eine ausgelaugte Seele erst einmal zur Ruhe kommen. Doch Liegestühle in sorgenfreier Umgebung zählen zu den oberflächlichen Verlockungen. Um das wahre Heil der Seele geht es dabei nicht. Es stimmt eben doch, was der Kirchenvater Cyprian sagte: „Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“. Die Wahrheiten zwischen Himmel und Erde liegen offen vor uns. Doch wir sehen sie heute nicht mehr. Woran liegt das?

Der Unfried empfindet nicht nur Freude am ungebremsten Wettstreit der Meinungen, er erzeugt auch bewusst das Bedürfnis nach Artikulation auch der geringsten persönlich als ungerecht empfundenen Wahrheit. Er schafft damit ein Vakuum gültiger Werte, das er geschickt als eine nie erreichte Ebene aufgeklärter Meinungsvielfalt tarnt. Das Vakuum, das im unübersichtlichen Gebalge nicht vom schützenden Schild verbindlicher Werte geschützt ist, will er klammheimlich selbst durch seine eigenen Vorstellungen ersetzen: Da gibt es dann keine Kirche mehr, die den Weg weist und Kreuze, die von der Wahrheit des Herrn künden, kann man getrost abhängen. Es gibt stattdessen nur noch Zweifler und Verunsicherte, denen der Unfried mit seinem Kommentar den Weg weist: „Relativiere alles, dann bist du modern, dem globalen Geist gegenüber aufgeschlossen und du kannst es sogar richtig bequem haben – ohne den Widerspruch des Zeitgeistes ertragen zu müssen. Du darfst dem folgen, was dir Redakteure zu lesen geben, aber denke daran, du hast es so bequem wie nie zuvor, weil du keinen Widerstand ertragen mußt, um deine eigene Meinung gegen den großen Strom zu behaupten.“

Dieser Zeitgeist belohnt uns sogar für unsere Treue: Wir dürfen tun und lassen, was wir wollen, Spaß haben, frei sein, überall hinfahren und Sinn im Meditieren auf der Matte finden. Aber darüber nachsinnen, dass wir in Wahrheit voller Unruhe sind, weil unserer Seele Gott fehlt – das sollen wir nicht. Aber was ist nun mit dem, der den Herrn liebt? Wo sind all die Stimmen für das Gebet, das, wie Romano Guardini schreibt, „das Menschenwort übersteigt?“ Wer erkennt inmitten der Schreihälse in Talkshows, Parteiveranstaltungen, Kommentaren und Foren noch den Wert des Gebets, das uns ja mit der einen Wahrheit, deren Existenz sonst so lautstark in Abrede gestellt wird, verbindet?

Die Stunde des Gebets

Den Klöstern, wie auch der Kirche, kommt in dieser knisternden Spannungslage eine ungeheure Aufgabe zu: Die Wiederbelebung des Gebets. Im Gebet manifestiert sich die Liebe zu Gott, also unsere Identität in Jesus Christus. Sie versetzt uns sozusagen in einen „druckimprägnierten“ Zustand gegenüber dem Jahrmarkt ideologischer Eiferer, gegen den Versuch, ein Vakuum an Werten durch relativierende Beliebigkeit zu schaffen, um es dann im Handstreich mit eigenen Werten zu besetzen. Ohne das tägliche Gebet entfernen wir uns sehr weit von dem, was Jesus Christus von uns erwartet: ein frommes, gottesfürchtiges Leben zu führen, in Demut, in Liebe zu ihm und zu unseren Mitmenschen.

Wir haben gerade nichts Geringeres betrachtet als den Kern der Kultur unseres Abendlandes. Das kann uns nicht egal sein. Es geht um unsere Identität, um die Seele, die nicht nur zufällig nach Gott verlangt, sondern täglich nach ihm dürstet, sich aber nur sehr schwer zu artikulieren vermag. Für die Seele brauchen wir Ruhe, innere Sammlung und die Fähigkeit des Hörens. Auf Gottes Wort. Das ist aber nur die eine Hälfte. Wie überhaupt in der Kommunikation, besteht auch in der Beziehung zu Gott die andere Hälfte unseres Dialogs aus dem Gebet. In diesen raren Momenten haben wir wirklich etwas zu sagen.

Diese Gedanken haben keine große Lobby, weil sie nicht sichtbar sind. In einer Kultur aber, in der nur die oberflächlich wahrnehmbaren Dinge zählen, gehen die eigentlichen, die tragenden Dinge verloren. Deshalb haben die Klöster, die Kirche und jeder einzelne Gläubige selbst diese umfassende Aufgabe vor sich. Die Liebe zu Jesus Christus durch das beständige Gebet täglich neu zu entdecken, zu beleben, zu pflegen, ja ,unser Leben mit dem Dialog zu Gott zu durchwirken.

Das beste Mittel gegen ideologisch geführte Debatten ist das Gebet. Nur unser Wort zu Gott hilft unserer geschundenen Seele, Gott zu schauen. Theologen als Sinnvermittler stehen vor einer großen Nachfrage, weil Berufserklärer wie Wissenschaftler, Politiker und Medien viel erzählen, aber auch Vertrauen verspielen. Persönliche Beispiele für enttäuschtes Vertrauen kennt jeder. Gemeinsam ist diesen Erfahrungen, dass säkulare Deutungsversuche der Welt den eigentlichen Sinn unseres Daseins auf Gottes Erde nicht begründen können. Und das ist es, was uns dämmert, in den hintersten Windungen unserer Seele, deswegen sehnen wir den wahren Sinn herbei, der mit polarisierendem oder banalem Infotainment nicht erfasst werden kann. Wirklich begreifen können wir unsere Identität mit derartigem Wissen nicht.

Das ist die Stunde des Gebets. Das ist die Stunde der Theologen, unserer Priester, die die Welt gerade deshalb anschaulich und verständlich zu erklären vermögen, weil sie in Zusammenhängen ohne manipulatives Interesse von Märkten und Mächtigen vortragen. Gottes Wort – das gilt, das bewirkt, was es meint. Es hilft uns in allen Lebenslagen, auch bei unseren Sorgen des Alltags im 21. Jahrhundert, weil Gott uns liebt. Im Gegensatz zu manch anderem Sinnstifter, den nicht Liebe, sondern Macht, Gewinn und Eitelkeit leiten.

Mit diesen geliehenen Identitäten, auch mit den verliehenen, die uns scheinbar zu Beteiligten an der Macht emporheben, geben wir uns nicht zufrieden. Unsere Seele dreht sich im Leibe herum, weil sie Gott nicht schauen kann, bei all der Verführung, bei all der Manipulation durch geborgte Identitäten, denen wir ausgesetzt sind. Das Gebet gibt uns die Erdung wieder, die wir in den Oberflächlichkeiten von Märkten und Mächtigen verloren haben.

Identität unter dem Herrgottswinkel

Wahre Identität sieht also anders aus, als uns heute von Medien und Mächtigen eingeredet wird. Sie kann niemals nur geborgt sein. Wahre Identität baut auf den Glauben, indem sie weltliche Wertigkeiten mit kurzem Verfallsdatum beiseite schiebt, damit ihr die eine göttliche Wahrheit zuwachsen kann. Wem soll diese Wahrheit denn sonst offenbar werden, wenn nicht uns, den Kindern Gottes, die wir in Gestalt der Seele sozusagen einen Chip in uns tragen, der uns mit der Einsicht des Heiligen Geistes versorgt? Wir sollten diese Botschaften nicht pausenlos wegklicken, weil wir vermeintlich Sinnvolleres erwarten, als unseren vom Schöpfer vorgedachten Auftrag: Als Mensch in Dankbarkeit für das Geschenk unseres Lebens zu beten.

Es ist eine Wonne, den Herrn zu preisen. Aber darauf muss man erst einmal kommen. Leider steht das in keiner Zeitung. Wir müssen uns also anderweitig informieren, wenn wir unserer Seele etwas wirklich Gutes tun wollen. Wir müssen zuhören. Bei der Predigt, zum Beispiel und wir müssen in uns hineinhören, um die leiseste aller Stimmen, die es auf der Welt gibt, zu vernehmen – es ist die Stimme des Heiligen Geistes, nach der sich unsere Seele sehnt und die so leise ist, weil sie auf Erden scheinbar aus den Tiefen des Weltalls zu uns vordringen muss. Und doch spüren wir, dass sie ganz nahe ist, in uns selbst, denn wir wohnen im Tempel Jesu Christi und Jesus Christus wohnt in uns. Ist es da nicht merkwürdig, wenn wir in der Weltgeschichte herumfliegen und überall sein wollen und von allen möglichen Informationen abgelenkt werden, aber im eigenen Haus, in uns, in dem Gott wohnt, ihn nicht sehen?

An vielen Orten in der Welt mischen wir uns ein, haben eine Meinung zu diesem und jenem und geraten hintereinander, weil öffentlich verbreitete Meinungen lagerbildend wirken. Wir möchten aber in Harmonie leben, im Konsens, in der Identität mit Jesus Christus, anstatt uns polarisierend durch die Welt zu bewegen ohne jemals am Ziel unseres Verlangens anzukommen. Der Herrgottswinkel kann daher von höherem Wert sein als der reservierte Sitzplatz in einem Flugzeug.

Diese ehrliche, authentische abendländische Identität aufzubauen, teilweise wiederzubeleben und mit dem lodernden Feuer der Liebe zu Jesus Christus zu erfüllen, ist letztlich die Aufgabe jedes glaubenden Menschen. Der Katholikentag in Regensburg verweist uns ja auf jeden Einzelnen, der Brücken zum Nächsten baut, um eine Gemeinschaft zu bilden. Wo einer glaubt, glauben morgen zwei und am Ende könnte vielleicht wieder die abendländische Kultur in ihrer Ganzheit zu ihren Wurzeln der Schöpfung zurückfinden. Die weltlichen Fragen lösen sich dann viel leichter. Das Gebet verleiht uns Flügel, mit denen wir über die irdischen Sorgen hinweggleiten, weil Gott unser Gebet erhört. Das zu glauben, fällt uns heute besonders schwer. Wir sind ja schon verunsichert, wenn auf eine SMS eine Stunde lang keine Antwort erfolgt. Bei Gott ist das anders. Er antwortet uns, auch wenn er schweigt.

Heute, wo viele junge Menschen zögern, sich überhaupt irgendwie festzulegen, verkörpern die Mönchsgemeinschaften der Klöster nicht nur eine, nein, sie bilden die Schule des Lebens, die wie kaum eine andere gegen das Unbehagen weltlicher Verwirrung wappnet. Eine Woche Gott in der Stille zu suchen, bedeutet, sich den Grundfragen unserer Identität zuzuwenden. Wir bieten nämlich unserer Seele den größten Luxus unserer Zeit, den es gibt: Das Gebet in der Stille. Wer das tut, wird nicht nur spirituell runderneuert, sondern von Grund auf zu einem Sein in und mit Gott angeregt.

Außerhalb des Klosters ist der gemeinsame Esstisch der Familie der Ort, um für das tägliche Brot zu danken. Das Kreuz darüber steht für die letzte Station auf unserem Weg zum ewigen Leben, der im Gegensatz zur unverständlichen Mode unserer Zeit sehr wohl ein Ziel hat, nämlich Jesus Christus selbst. Das Kreuz im Herrgottswinkel ist daher der Kulminationspunkt, in dem die Liebe lebt und dem wir unsere Identität verdanken.