„Der Liebe zu Jesus Christus nichts vorziehen“

Die Bayerische Benediktinerkongregation unternimmt eine Wallfahrt nach Benediktbeuern

Zwei Tage nach dem Hochfest des heiligen Benedikt, am 13. Juli 2015, kamen die Bayerischen Benediktinerinnen und Benediktiner zu einer Wallfahrt in Benediktbeuern zusammen.

Hintergrund der Wallfahrt war die Überlegung der Benediktiner, wie auch anderer Ordensgemeinschaften in Deutschland, auf die Vielfalt des Ordenslebens in unserem Land, insbesondere in Bayern, aufmerksam zu machen. In Bayern reicht die Tradition des benediktinischen Lebens etwa eintausenddreihundert Jahre zurück. Stets waren Orden und Klöster spirituelle Zentren für die Begegnung mit den Menschen auch außerhalb der Klostermauern.

Gewiß wirft das monastische Leben gegenwärtig mehr Fragen auf als früher. Vielen Menschen erscheinen die Ordensschwestern und Ordensbrüder in ihrem Habit heute wie befremdliche Boten aus einer anderen Welt. Dies liegt nicht allein an der mancherorts bescheidenen Größe der Konvente, die sich natürlich regen Zulauf wünschen. Die Gründe für die unterschiedlichen Wege, auf denen Gottes Liebe heute wahrgenommen wird, sind mannigfach – vor allem reichen sie Jahrzehnte bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts zurück, als das leidenschaftliche Feuer für ein gottgefälliges Leben noch heftiger loderte.

Der Bischof von Eichstätt, Gregor Maria Hanke, griff diese Fragen in seiner Predigt vor 160 Ordensleuten und ihren Angehörigen, Oblatinnen und Oblaten sowie etwa 240 Schülern aus Ettal, Schäftlarn und Augsburg auf.
Alle elf bayerischen Benediktinerklöster waren vertreten, die Benediktinerinnen waren aus den Abteien Eichstätt, Tettenweis und Kirchschletten angereist. Die Delegation aus Metten bestand aus Abt Wolfgang Hagl, Pater Athanasius, den Oblaten Dr. Reinhard Braun und Peter Altmannsperger, sowie Herrn Johannes Wilhelmy, einem ehemaligen Schüler.

Was macht uns Angst?

Warum, so lautete die Eingangsüberlegung, werden heute überhaupt so viele Fragen gestellt? Aus welchem Grund sind Ordensgemeinschaften heute eben keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern eher exotische Randerscheinungen, die man bestaunt, vielleicht bewundert oder auch ablehnt? Wovor hat derjenige, der solche grundsätzlichen Fragen aufwirft, Angst? Etwa davor, daß er Verzichten üben muß? Ist die Angst vor dem Verlust irdischer Errungenschaften so groß, daß ein Leben ohne Selbstliebe, Besitz, Macht, Konsum und Freiheit als die denkbar schauerlichste Vorstellung gilt?
Doch blicken wir zunächst in die Klosterkirche in Benediktbeuern zurück. Sie war bis auf den letzten Platz gefüllt, sogar von den Rängen herab verfolgten die Schüler Liturgie und Gotteslob.
Solche Bilder sind es, die sich unsere Priester und Ordensleute wenigstens an jedem Sonntag wünschen, doch oft bleiben ganze Sitzreihen leer. Gott wird anders wahrgenommen, weil viele Menschen andere Dinge hören, als ein Mönch. Wenn der heilige Benedikt seine Regel mit der Aufforderung beginnt, zu hören, dann scheiden sich bereits dabei die Wege der Wahrnehmung. Während die Regel weltliche Bedürfnisse und geistliche Sehnsucht miteinander in Einklang bringt, scheinen außerhalb der Klostermauern irdische Begehrlichkeiten die Sinne derart zu überstrahlen, daß die Vorstellung, Freiheit durch Verzicht könne gar zur Lebensform werden, verschattet wird.
Die greifbaren Dinge scheinen alles zu überragen. Nur sie stehen im blendenden Licht der allgemeinen Wahrnehmung. Der Einzelne muß ja Angst bekommen, wenn er durch die Anleitung der Regel zur Demut all die angenehmen Dinge, die das Leben scheinbar lebenswert machen, verliert, wenn sich sein Leben auf das düstere Geviert dicker Klostermauern beschränken soll.
Aber so einfach sollte man es sich nicht machen.
Freilich – man kann ein Leben nach den Prinzipien „ora et labora“ auch außerhalb des Klosters führen. Und man muß kein Mönch werden, um in spirituellen Schriften zu lesen. Viele vermögen es sogar, Maß und Mitte zu halten, also nicht ausschweifenden Extremen zu verfallen, um der eigenen Sündhaftigkeit zumindest ab und an mit dem Ziel der Seelenruhe Einhalt zu gebieten. Aber reicht das? Genügt es tatsächlich, leidenschaftlich zu beten und zu arbeiten und nichts zu übertreiben, um nicht heimlich doch immer mehr zu wollen?

Die Kraftquelle der Liebe

Liegt nicht in der Leidenschaft irgendwo doch die Angst verborgen, man könne etwas verpassen? Und außerdem: Wie ist das mit unserer Heimat? Liegt sie wirklich „im Himmel?“, wie der Apostel Paulus in seinem Brief an die Philipper schreibt, und wenn ja, wie sieht sie aus? Treffen wir dort tatsächlich auf die angstfreie Zone, die unsere Seele herbeisehnt?
In der Liebe liegt gleichsam der Schlüssel verborgen, mit dem wir das Tor zu Jesus Christus weit aufstoßen können – oder in der wir lebenslang in vermeintlicher Freiheit umherirren, weil wir uns der Skala der Liebe an ihrem entgegengesetzten Ende zuwenden, nämlich der Selbstliebe.
In diesem Sinne, betonte Bischof Gregor, geben die Orden sehr viel. Sie geben ihr Selbst hin, um die Liebe des Herrn in der ganzen Fülle, ja in ihrer Unerschöpflichkeit zu empfangen. Die Mönche geben hin, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen, was ja wieder ein verborgener Akt der Selbstliebe wäre. Die Ordensschwestern und Ordensbrüder sind es, die uns heute Vorbild darin sind, wie man sich auf die reine Gabe der Liebe und der Barmherzigkeit besinnen kann. Das ist die eigentliche spirituelle Botschaft der Klöster in Bayern und anderswo. Sie ist in ihrem Kern unverändert, so wie vor eintausendfünfhundert Jahren, weil die Liebe von uns Menschen zu Jesus Christus immer die gleiche ist.
Der Verzicht, der vielen Menschen heute um soviel schwerer fällt als noch vor einigen Jahrzehnten, weil man in unserer vernetzten Welt noch mehr Dinge viel schneller haben kann als früher – dieser bewußte, freiwillige Verzicht, ist die Bedingung für die wahre Freiheit. Gemeint ist hier nicht die Freiheit grenzenloser Wunscherfüllung, sondern die Befreiung von etwas, also das Abwerfen der Lastkörbe von Besitz, Macht, Einfluß, Neid und Eitelkeit, wenn wir das einmal mit den weniger edlen Eigenschaften umschreiben wollen.

Die Benediktusregel als Lebensform

Ein Blick in die Gesichter der Schüler verriet: Wenn ihnen auch einige Begriffe neu waren – den Kern der Botschaft haben sie sehr wohl verstanden oder wenigstens gespürt, denn die Liebe ist ja nicht sichtbar, daher hat sie ja auch kaum eine Lobby, im Zeitalter von Spaß und Konsum. Das, was zwischen den Zeilen der Ansprache und der Lieder die heilige Aura der Wallfahrt ausfüllte, das war die Erkenntnis, daß man der Benediktusregel kaum gerecht wird, wenn man sie anklickt und wieder löscht, wenn sie zu unbequem erscheint. Die Regel des heiligen Benedikt ist stets präsent, weil Jesus Christus allgegenwärtig, weil seine Liebe mit uns und in uns ist, selbst dann, wenn wir Vergängliches begehren.
Die Benediktiner laden uns jeden Tag und jede Nacht, zu jeder Stunde, mit jedem Gebet, bis hinein in unsere Gedanken, mit denen wir beim Herrn verweilen, zu einer Lebensform ein, die hochmodern, ja brandaktuell ist. Die Lebensform des heiligen Benedikt trägt geballte Kraft in sich, hat man erst einmal diesseits oder jenseits der Klostermauern damit begonnen, sich nach ihr zu orientieren und „der Liebe zu Jesus Christus nichts vorzuziehen.“
„Die Kirche ist erbauet auf Jesus Christ allein“, sangen alle, vom Schüler bis zum betagten Ordensbruder. Wenn also die Kirche wieder unsere Mutter sein soll, „außerhalb derer es kein Heil gibt“, wie Cyprian von Karthago sagt, dann kann sie das nur werden, wenn wir Jesus Christus wieder begegnen, in uns selbst und im Nächsten, im Gebet und im Gespräch.
Beim gemeinsamen Mittagessen, das, wie die gesamte Veranstaltung von den Salesianern Don Boscos mit Hingabe und herzlichem gastgeberischem Eifer organisiert war, kam man über dies Fragen miteinander ins Gespräch.
Am Nachmittag vermittelte Frau Roswitha Busch-Hofer, die Nichte des langjährigen Priors in Metten, Pater Benedikt Busch, mit großer Sachkenntnis Einblicke in Geschichte, Kultur und Wirken des Klosters Benediktbeuern in den Jahrhunderten seines Bestehens.
Unterdessen beleuchtete ein kleiner Gesprächskreis die Frage, welche Wirkkraft die Regel des heiligen Benedikt heute noch hat und wie man das Feuer der Liebe wieder nähren kann.
„In Drangsal mach uns frei“, hieß im Eingangslied der heiligen Messe. Der fromme Leser der Benediktusregel spürt zum einen sehr wohl, daß das „enge Tor“ zur Liebe des Herrn nicht ohne Verzicht durchschritten werden kann. Zum anderen besteht aber der Unterschied zwischen einer vorübergehenden Leidenschaft für Jesus Christus und der Liebe als nachhaltiger Kraftquelle des ganzen Lebens darin, sich im letzteren Fall ganz auf die Regel einzulassen oder, wie Abt Wolfgang Hagl betont, „alles auf eine Karte zu setzen“.
Diese Karte heißt Jesus Christus. In einer Zeit, die sich mitunter mehr selbst gefällt als dem Herrn, braucht es eine gehörige Portion Selbstdisziplin, um diesen Schritt konsequent zu gehen. In diesem Sinne hat die Wallfahrt nach Benediktbeuern allen Teilnehmern Mut gemacht.