Aufstieg zur Seele

Herr Peter Altmannsperger, Oberstleutnant bei der Bundeswehr am Standort Garmisch-Partenkirchen, ein begeisterter Bergsteiger, war im März eine Woche unser Gast.

Seine Eindrücke auf dieser Suche nach Stille drückt er im nachstehenden Aufsatz aus:

Aufstieg zur Seele

Gedanken eines Bergsteigers
in der Stille des Klosters Metten.

Unserer Zeit ist die Stille abhanden gekommen. Was das für unsere Liebe zu Gott bedeutet, läßt sich nur schwer ermessen. Wir ahnen jedoch, in den wenigen Momenten innerer Sammlung, daß im Abendland eine Unruhe Einzug gehalten hat, die uns kaum greifbar erscheint. Sie besitzt daher etwas Unheimliches. Dieses Wort „unheimlich“ berührt uns auf sonderbare Weise, weil es ja aussagt, daß wir nicht beheimatet sind. Und genau das bereitet uns Sorge. Wir haben immer weniger Zeit für Gott und für die Kirche, die unsere Heimat ist.

Der Alpinist, der das Tragen eines Rucksacks als Gnade empfindet, begibt sich auf die Suche nach Gott. Er trägt und schweigt. Er begibt sich auf die Suche nach der Heimat. Der anstrengende Aufstieg des Bergsteigers erzeugt inneren Jubel. Er vermittelt eine ähnliche Empfindung wie sie während des Chorgebets auftritt. Wer die Serpentinen eines Bergpfades begeht, betet also eigentlich Psalmen. Die Steigung bleibt gleich und doch öffnet der Eifer für Gott unsere Herzen mit jedem Vers, mit jedem Stück des Weges neu. Am Ende herrscht Frohlocken über das Licht hinter der Nordwand wie über die Nähe zu Gott.

Der Bergsteiger sehnt sich nach der Entbehrung des einfachen Lebens, weil er den Zugang zu Gott jenseits der säkularen Beliebigkeit vermutet: Jesus Christus offenbart sich in der Stille. Mir ergeht dies seit dreißig Jahren so: Im Aufbruch zur Stille liegt etwas Heiliges, weil sie mir zur inneren Sammlung verhilft. Insofern ist der Berggang so etwas wie ein Aufstieg zur Seele. Der Berggang führt uns zum Eigentlichen, zu dem, was im Leben wichtig ist. Mit jedem Meter in die Höhe entfernen wir uns ein wenig weiter von den Räubern des Eigentlichen, der Information und der Mobilität. Die beiden Räuber des Eigentlichen bringen Unruhe in unser Erdenleben. Aber wir suchen ja gerade das Gegenteil: Die Ruhe und die Stille, in der scheinbar nichts geschieht und doch so viel bewegt wird.

Unsere Suche nach der Stille wird nicht überall Erfolg haben. Dazu brauchen wir Orte, die uns spirituelle Kraft schenken. Unsere Klöster sind solche Orte. Ihre Spritualität wirkt in doppelter Weise nach außen und nach innen. Unsere Klöster verbinden die Weisheit der antiken Welt mit der traditionellen Werteordnung des christlichen Abendlandes. Während wir sie von außen betrachten, berühren sie unserer Inneres, weil wir hoffen, in den heiligen Mauern einen Gegenentwurf zu den Räubern des Eigentlichen zu finden.

Eine Woche lang durfte ich als Gast im Kloster Metten weilen. In dieser Zeit habe ich die Gnade der Stille erfahren dürfen, der ich bisher nur in den Bergen begegnet war. Im Kloster weht ein steter Hauch der Liebe. Gemeinsam mit dem Schweigen in der Stille entfacht diese Liebe eine Sehnsucht nach Gott, die, wollte man sie mit der Kärglichkeit menschlicher Worte beschreiben, die geheimnisvolle Sehnsucht nur relativieren würde.

Ich wollte nicht „einfach so“ für sieben Tage den Pulsschlag des monastischen Gebets in einem Kloster erleben. Seitdem ich auf die Regel des heiligen Benedikt von Nursia gestoßen war, konnte für die Suche nach Gott nur ein Kloster in Frage kommen, dessen Mönche nach dieser alten Regel leben. Sie richtet in unserer Zeit der Ablenkung auf beeindruckende Weise Denken und Empfinden auf Jesus Christus aus. Die Beneditktusregel ist gerade deshalb faszinierend, weil sie nicht mit spektakulären Versprechungen daherkommt, wie man zum schnellen Glück finden kann, sondern weil sie das Gegenteil will: Sie setzt der Maßlosigkeit das Maßhalten entgegen. Sie stellt der Übersteigerung des Selbst die Demut gegenüber. Und schließlich führt sie uns von der Überhöhung des irdischen Besitzes auf den Boden der Liebe zu Jesus Christus. Die Regel des heiligen Bendeikt lehrt mich auch, daß der Weg zu Gott nicht über die Spitze eines Berges führen muß. Den Schlüssel zu unserer Seele, also zu dem Göttlichen in uns selbst, können wir auch im täglichen Gebet finden.

Ob wir aber zu einem Gipfelkreuz unterwegs sind, oder Gott im Gebet suchen – in beiden Fällen zeigen wir unsere Aufgeschlossenheit für das Eigentliche. Das Eigentliche führt uns zum Urgrund des Glaubens. Alle unsere Wege zu Gott brauchen, damit sie nicht auseinanderlaufen und am Ende gar ihr Ziel verfehlen, Führung durch die eine, katholische, universelle Kirche Jesu Christi. „Extra ecclesiam salus non est“ (außerhalb der Kirche gibt es kein Heil) überliefert uns der Kirchenschriftsteller Cyprian.

Gott liebt uns Menschen so sehr, daß er seinen eigenen Sohn für uns am Kreuz geopfert hat. Erst über den Tod Jesu Christi am Kreuz begegnen wir der ganzen göttlichen Wirklichkeit, die Erlösung bringt und mit der Auferstehung und dem ewigen Leben endet. Der Bergsteiger nimmt sozusagen symbolisch das Kreuz auf sich, um Jesus Christus nachzufolgen. Er verkörpert daher eine Botschaft für alle Menschen, deren Seele verschüttet und deren Herzen verhärtet sind. „Verhärtet eure Herzen nicht – hört auf die Stimme des Herrn“ singen die Mönche im Choral des Stundengebets. Wollen wir das im Grunde nicht alle? Mit offenem Herzen, das nicht verhärtet, sondern voller Liebe für Gott und den Nächsten ist, auf die Stimme des Herrn hören? Oft finden wir unsere Seele derart tief verborgen in unsrem Innersten, daß es außergewöhnlicher Anstrengungen bedarf, damit hervorbrechen kann, was wir im gewinnorientierten Treiben scheinbar zubetoniert haben. Kreist nicht unser Sehnen um das, was für das Auge unsichtbar und dem Verstand verschlossen bleibt? Die Mönche im Kloster suchen Gott! Darum rühmen wir sie als Stellvertreter für die gute Botschaft in unserem Herzen, wenn auch viele diese Lebensform für sich selbst auschließen. Es fällt offenbar doch schwer, zu dem Wesentlichen, das unserem Leben Halt gibt, in voller Konsequenz „Ja“ zu sagen. Ich kann es sehr gut nachvollziehen, wenn ein überzeugter Katholik den entscheidenden Schritt unternimmt und Mönch wird. Die Kreuzgewölbe im Kloster Metten laufen in harmonischen Linien zusammen. Nichts ist hier künstlich begradigt – alles strebt unmittelbar zum Himmel. Wie wohltuend legt sich in unbehauster Zeit eine derartige Geborgenheit auf die Seele!

Von den Mönchen geht eine charismatische Strahlung aus. Sie verkörpern erfolgreiche Gegenentwürfe zu einer entgleisenden, die Mitte außer Acht lassenden Welt. Sie führen uns zurück zum Grund des Seins, der keine Lasten scheut, um über die Entsagung Freude zu erlangen. Die Boten des einfachen Lebens denken und handeln gegen den Strich. Sie vollbringen eine innere Kehrtwende vom Selbst zu Gott. Ihre Wahrnehmung der Welt baut auf die Schöpfung durch den Herrn. Im Zentrum ihrer Überlegung steht Gott, nicht der Mensch, und schon gar nicht das Selbst, also das Ego, dem wir soviel Eigenliebe widmen, daß sie uns geradezu blind macht für Jesus Christus, der unter uns lebt. Der Kirchenvater Augustinus hat nicht zufällig die Selbstliebe und die Gier nach materiellen Dingen als die größten Hindernisse zu Gott und damit als die am weitesten offenstehenden Scheunentore zur Sündhaftigkeit erkannt.

Jesus Christus begab sich als König der Juden vom See Genezareth nach Jersualem. Er wählte einen Esel als Reittier und stellte die unruhige Menge vor eine harte Probe, ihn als König zu erkennen. Er herrschte, aber nicht mit dem Schwert, sondern mit Demut und Liebe. So ähnlich ist das auch bei den Mönchen als Boten des einfachen Lebens. Sie herrschen nicht über andere, indem sie irdischer Macht nacheifern. Sie steigen auf, in dem sie sich auf der Leiter der zwölf Stufen der Demut, wie sie in der Regel des heiligen Benedikt festgelegt sind, Gottes Willen bis zur vollständigen Unterwerfung fügen. Sie unternehmen zumindest den Versuch, auf dieser Leiter der Demut emporzuklimmen. Letzteres Streben kann unter den Rahmenbedingungen des Erdenlebens manchmal nur angedeutet werden. Der Aufstieg der Mönche erfolgt durch den Abstieg zum göttlichen Grund der Seele. Selbst im Leben der Mönche – so groß ist deren Bescheidenheit – kann die Sündhaftigkeit nicht vollständig überwunden werden. Deren Überwindung kann aber lebenslang, also täglich, ohne jede Ausnahme, angestrebt werden. Die Mönche zeigen uns, wie wir unsere Mitte in Gott, durch ihn und für ihn suchen können, ohne uns selbst dabei zu erhöhen. Die Kirche hat nun die steuernde Aufgabe, insbesondere außerhalb der Klöster die Vielfalt der menschlichen Wege zu Gott zu bündeln. Sie muß in allen Zeiten die Frage nach unserem Wohin durch die gelebte Erinnerung an unser Woher beantworten.

Es war für mich unmöglich, im Kloster Metten Gott in der Stille zu suchen, ohne dabei auch an die Zukunft der katholischen Kirche zu denken. Beinahe 1.250 Jahre ihrer Geschichte verbinden sie ja mit der Benediktinerabtei. So gesehen, richte ich den Blick auf beide.

Das Gotteslob ist eine Gnade, keine Verpflichtung. Auch hier müssen wir lernen, gegen die üblichen Sichtweisen anzugehen, die überall Zwänge sehen. Wer betet, darf sich Gott zuwenden. Er erfährt in der Stille den Segen der inneren Sammlung, anstatt abgelenkt umherzuirren. Bei unserem Versuch, wie Jesus Christus die sieben Todsünden zu vermeiden und den Zehn Geboten zu gehorchen, sind wir auf das Hören angewiesen. Wir müssen wieder lernen, zu hören. Wir dürfen auch erschrecken, wenn wir im tiefen Gebet Gottes Nähe erfahren. Die Gewißheit der göttlichen Existenz, unsere Nähe zu Jesus Christus, darf uns sogar zeitweise lähmen. So gebannt durch die Nähe des Herrn, fließt uns eine Kraft zu, die ich-gesteuerte Verhaltensweisen überwindet. Manches stille Gebet findet unter Tränen statt. Es kann in ein nicht enden wollendes Bereuen der eigenen Sündhaftigkeit übergehen. Und doch finden wir in den stillen Stunden mit Gott die Tür zu ihm nur einen Spalt weit geöffnet. Der Lichtstrahl, der durch diesen Spalt zu uns hereinbricht, genügt aber bereits, um die Liebe zu ahnen, die uns Gott entgegenbringt. Die katholische Kirche spricht von der Dreifaltigkeit – dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist – die den Glaubenden stützt. Der im Gebet bebende Mensch spürt diesen Heiligen Geist. Er sieht Gott gerade deshalb, weil er ihn nicht greifen kann. Genau deshalb sieht er sich und die Menschen anders. Er versucht ihnen mit den Augen von Jesus Christus zu begegnen. Man kann darüber streiten, wie weit der Bergsteiger auf seinem Weg Gott entgegengeht. Daß er seinen Weg zu Gott überhaupt beschreitet und ihn täglich neu auf sich nimmt – darauf kommt es an.

Wir alle sehnen uns nach innerer Sammlung und einem Dach über dem Kopf, das nicht nur unseren Leib, sondern auch unsere Seele schützt. Dieses Dach ist unsere heilige katholische Kirche. In ihr, durch sie und mit ihr formt sich die Gemeinschaft der Heiligen. In der Kirche werden wir alle eins, auch mit den Mönchen, den Gesandten des einfachen Lebens. Es ist die Kunst der inneren Umkehr, die durch die Räuber des Eigentlichen, die Information und die Mobilität, verkümmert. Diese Kunst der inneren Umkehr müssen wir wieder neu entdecken. Die Kirche hilft uns dabei. Sie gibt der Welt einen Anker und trägt die Zukunft der Welt in sich. Die Kirche verhilft uns nicht nur dazu, unsere Mitte in Gott zu finden, die Kirche ist unsere Mitte. Sie ist unser Leben.

Gerade deshalb muß sich die Kirche „entweltlichen“, wie der Heilige Vater betont hat. In überbordender Vielfalt fiel der Wettstreit von Meinungen über das her, was Papst Benedikt XVI. mit seinem Wort von der „Entweltlichung“ gemeint haben könnte. Wie so oft bei den elementaren Dingen, liegt die Erklärung klar auf der Hand und offen in unserem Herzen. Grübeln und Rätseln hilft wenig, wenn es um das Verständnis deutlicher Botschaften geht. Die Bibel, so führt Peter Seewald aus, halte die Antwort parat. „Auf keiner der vielen Tausend Seiten“ finde man hier den Satz: „Macht euch mit der Welt gemein!“. Die Kirche ist das Korrektiv, mit dessen Hilfe der Glaube an die Vergebung der Sünden, an die Auferstehung des Fleisches und an das ewige Leben wieder seine „Wirkstoffe entfalten“ kann. Wenn der Zeitgeist die Quelle des Glaubens getrübt hat, muß sie durch innere Umkehr zur Demut heraus wieder mit klarem Wasser gereinigt werden. Das ist die Botschaft der katholischen Kirche. Sie bündelt Gottes Wort für alle Gläubigen und überträgt den Heiligen Geist durch den Leib und durch das Blut Jesu Christi in der Eucharistiefeier. Die Kirche erinnert uns täglich daran, daß Jesus Christus tatsächlich Gottes Sohn ist und daran, daß der Gekreuzigte am dritten Tage wieder auferstanden ist. Diese Botschaft erscheint dem menschlichen Verstand so ungeheuerlich, daß wir noch heute, zweitausend Jahre nach dem Einzug des Herrn in Jersualem, wie die Kinder mit offenem Mund dastehen und nicht fassen können, was geschehen ist.

Auch der Bergsteiger kann ein Bote der Entweltlichung sein. Das päpstliche Wort von der Entweltlichung gibt uns einen Hinweis, daß neben den irdisch erfaßbaren Objekten des Eigentlichen ein sinnstiftender Geist des Eigentlichen existiert, von dem alles Leben kommt und in dessen Hände das Leben zurückfällt. Es ist der Geist Gottes und seines Sohnes Jesus Christus. Einen Bleistift bezeichnen wir zu recht als grundlegend. Dasselbe gilt für einen Dauerbrandherd, der die Stube und das Herz wärmt. Wo der Firlefanz fehlt, beginnt also das Eigentliche. So ist es auch mit Gott. Wir sind ihm immer dann nahe, wenn wir nicht abgelenkt sind, um ihn sehen zu wollen. Wer auf dem Bergpfad emporsteigt, hat Sehnsucht nach dem Eigentlichen. Er ahnt Gott. Wer betet, sieht Gott. Die Liturgie des Chorgebets ist von unverrückbarer Beständigkeit, wenn auch Antiphone und Psalmen täglich wechseln. In der Liturgie wird das Wort Gottes durch das Mysterium der heiligen Messfeier vermittelt. Die Forderung des Papstes nach der Wiederentdeckung der Sakramente und sein Festhalten an der Tradition der Liturgie schaffen unvergängliche Wege zu Gott. Festgefügte Abläufe sind faszinierend. Sie stoßen das Tor zum Eigentlichen auf. Sie bilden den Boden unserer Heimat in der katholischen Kirche. In der Kirche konzentriert sich die Kraft des Gebets. Mit dieser Macht können wir das Tor zu Jesus Christus nicht nur einen Spalt weit öffen, sondern sogar durchschreiten. Wer dem lateinischen Choral der Mönche lauscht, braucht kein Wort davon zu verstehen. Das wäre natürlich nicht strafbar. Aber man weiß auch so, was damit eigentlich gesagt wird.

Die neuzeitlichen Anfeindungen gegenüber der katholischen Kirche sind ein Reflex der Haltlosigkeit. Ein Geist, der das ewige Leben verneint, muß zornig werden, wenn er vom ewigen Leben hört. Dieser Grimm wird abschwellen. Noch erhebt er sich, vor allem gegen die Priester der katholischen Kirche. Sie stehen im Mittelpunkt der Kritik entwurzelter Menschen, die nicht wissen, was sie tun. Es sind dieselben Menschen, die einst ihre Verkaufsstände im Tempel zu Jerusalem aufschlugen und – nachdem sie durch Jesus von dem heiligen Ort vertrieben wurden – nicht zu verstehen vermochten, daß Jesus Christus selbst der Tempel war, der innerhalb von drei Tagen nach der Zerstörung wiedererrichtet wurde. Es sind dieselben Händler, die heute die Regel des heiligen Benedikt lesen – wenn der Zufall sie zu diesem Juwel christlich-abendländischer Weisheit führen sollte – und bereits morgen vergessen haben, was dort geschrieben steht: „Bei der Festlegung der Preise darf sich das Übel der Habgier nicht einschleichen. Man verkaufe sogar immer etwas billiger, als es sonst außerhalb des Klosters möglich ist, damit in allem Gott verherrlicht werde.“ Die Botschaft, um die es hier geht, betrifft natürlich nicht die Preisgestaltung im Besonderen, zumal der Händler nicht im Kloster weilt. Sie sagt uns aber ganz allgemein, daß der Glaube gegenüber dem Gewinnen Vorrang haben soll.

Unsere Priester sind Vorbilder der Entweltlichung. Ihnen gehört die Zukunft. Die Zukunft der Priester wird nicht durch die Lockerung oder gar durch die Abschaffung des Zölibats gesichert. Die Zukunft der Priester liegt im unbeirrten Festhalten an der einzigartigen, alle anderen Formen der Hinwendung überlagernden Liebe zu Jesus Christus. In den Priestern offenbart sich Gott dem Gläubigen, der versucht, in allem Gott zu sehen – auf dem Gipfel eines Berges, in dem saftig gereiften Korn, im Rhythmus des Stundengebets oder im Alltag einer kinderreichen Familie. Priester sollten über ein außergewöhnliches Charisma verfügen, denn unsere Sehnsucht nach Gott verlangt nach fesselnder Verkündigung. Nach theologischer Auffassung ist den Priestern ohnehin ein besonderes Charisma eigen. Das Zölibat als Charisma wird als ein Geschenk Gottes verstanden.

Im Gottesdienst soll es nicht darum gehen, die Herde durch Mätzchen zu erbauen, wie es vielfach zu beobachten ist. Das schlechte Beispiel des Fernsehens liefert für derartiges Verhalten Steilvorlagen. Dort werden selbst Hoch und Tief, die unser Wetter bestimmen, weil der Herr Sonne oder Regen schenkt, in albernem Kontext verabreicht. Bei der Sendeanstalt ist es die Angst vor niedriger Quote, die zur Niveaulosigkeit verleitet. Die Furcht vor leeren Kirchenbänken hat schon manchen Pfarrer zu absonderlichen Verrenkungen verführt, die meist unsichere Verbeugungen vor dem Zeitgeist sind. Charisma besitzt eine ganz andere Ausstrahlungskraft. Kirche ist anders. Sie fällt in unserer Zeit aus dem Rahmen, weil sie einen Rahmen setzt. Sie zieht uns in ihren Bann. Wir folgen den Gedanken des Priesters, weil wir spüren, daß Gottes Wort recht und wahr ist. Dies war im frühen Jersualem so und dies kann selbst in Neukölln im Jahr 2050 gelingen. Gegen das Leuchten von Jesus Christus durch die Gestalt des heiligen Priesters ist kein Kraut des Zeitgeistes gewachsen. Nur die Vermeidung des Zuhörens, das bewußte Weghören derer, die Opfer der Zerstreuung geworden sind, steht dem gemeinsamen Jubel des Gottesdienstes entgegen. Der Kern des Glaubens besteht zu allen Zeiten darin, Kirche sein zu wollen. Dieses Wollen erfordert eine gewisse Anstrengung. Sie setzt Disziplin und Konsequenz voraus. Unsere Gemeinschaft muß also wieder lernen, sich anzustrengen. So einfach ist das wahre Wort und so schwach ist das Fleisch, sich an ihm auszurichten! Kirche soll heute Spaß machen. Angeblich. Tut sie das nicht, wird sie langweilig. Sie wird wie durch einen raschen Mausklick entsorgt, wie so vieles, dessen wir vermeintlich überdrüssig sind. Ähnliches beobachten wir beim Gebet. Der höchste aller Hirtendienste kommt uns allenfalls dann in den Sinn, wenn sich ein geliebter Mensch anschickt, in das Schweigen hinabzufahren. Oder wenn wir selbst von schwerer Krankheit gezeichnet sind. Dabei wird das Flehen zu Gott zum Handel herabgewürdigt. Ich bete dich an, damit du mich heilst. Nur deshalb? Nur um unseres eigenen Vorteils Willen? Sind wir soweit, daß wir selbst im Gebet nicht mehr an Gott, sondern nur an unser Ich denken?

Kirche muß aus dem Rahmen fallen, weil sie einen Rahmen für das Gebet setzt. Die Zeit für das Gebet bestimmt den Rhythmus von Tag und Nacht. Denn unser Tag und unsere Nacht sind nicht unser Tag und unsere Nacht. Sie sind von Gott. Die Kirche sorgt dafür, daß das gemeinsame Gotteslob zum Quell der Freude wird. Wir verdanken ihr, daß – wie in der Regel des heiligen Benedikt verlangt – Herz und Stimme übereinstimmen, daß wir als Christen unsere Mitte in der Identität des Glaubens finden, indem wir unsere Aufmerksamkeit nach außen richten und gleichzeitig achtsame Innenschau nach Gott halten. Erst die Kirche verhilft uns nach dem säkularen Übereifer der Aufklärung dazu, wieder fest auf zwei Beinen zu stehen: Auf der Säule des Verstandes und auf der Säule des Glaubens. Sie definiert Vernunft als ein unabdingbares Miteinander von Glaube und Verstand, als gottgegebenes Merkmal gelebter Liebe. Die Kirche lehrt uns, die Aufmerksamkeit nicht nur nach außen, sondern auch nach innen zu richten. Sie lehrt uns also genau das zu tun, was wir seit Generationen versäumen. Daher kann es keinen Zweifel geben, daß die Kirche ihrer Zeit weit voraus ist. Die Gemeinschaft der Heiligen gehört zum Menschen wie der Berg zum Alpinisten und das Stundengebet zum Mönch.

Aus der Entweltlichung der Kirche spricht die Liebe zur Welt. Wir können dies am dogmatischen Festhalten der Kirche, beispielsweise an der Pflege der Liturgie sehen. In der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Heilige Liturgie (Sacrosanctum Concilium) heißt es: „In der Liturgie, besonders im heiligen Opfer der Eucharistie, vollzieht sich das Werk unserer Erlösung, und so trägt sie in höchstem Maße dazu bei, dass das Leben der Gläubigen Ausdruck und Offenbarung des Mysteriums Christi und des eigentlichen Wesens der wahren Kirche wird.“

In der Hinwendung zu diesem Eigentlichen wird die katholische Kirche zur Heimat der Gläubigen. Indem Papst Benedikt XVI. Doppeldeutigkeiten, modernen Auslegungen der Heiligen Schrift und jeglichen Formen des „Infotainments“ in Gottesdiensten eine Absage erteilt, entfaltet er die Liebe zu den Menschen gerade dadurch, daß er jeden einzelnen in der Welt an die Hand nimmt und ihn durch die Kirche in die Arme schließt. Die Erneuerung der Kirche kann nur durch die Überwindung des Selbst und indem sie Gott in den Mittelpunkt unserer Welt stellt, Erfolg haben. Erneuerung bedeutet nicht das Beschreiten neuer Wege, zu denen uns der Zeitgeist verführt. Erneuerung bedeutet, die Heimat stiftende Kraft der Kirche täglich zu beleben, indem unser Denken demütig das anstrebt, was Gott von uns Menschen verlangt. Wir müssen – anders gesagt – die Welt wieder finden, indem wir uns entweltlichen. Dieses vermeintliche Paradoxon ist eben keines, weil sich hinter ihm die Logik der Freude durch Anstrengung, der Erlösung durch Verzicht verbirgt. Hinter diesem scheinbaren Widerspruch scheint einmal mehr die Art und Weise hervor, wie Jesus Christus die Welt sieht. Wollen wir Jesus Christus als Menschen nachfolgen, müssen wir versuchen, unsere Welt eben genau so zu sehen, wie der Sohn Gottes: Durch ihn, in ihm und mit ihm.

Die katholische Kirche als unsere Heimat macht aus dem Sein unter der Last ein Sein in Freude, ein Sein in und für Gott. Die Kirche zeigt dem Träger einer Last, sei er Bergsteiger oder nicht, daß ihn Gott liebt. Sie zeigt dem Mönch, daß die spirituelle Kraft seiner Suche nach Gott immer mehr gläubige Schäfchen zum Gebet inspiriert, weil die Seele einen Ort braucht, an dem sie zur Ruhe kommen kann. Kann man ein bißchen glauben? Kann man ab und zu dem Gottesdienst beiwohnen und trotzdem ganz nahe bei Gott sein? Oder ermuntert uns nicht gerade die Kirche als caritative Einrichtung, die Nächstenliebe in die Tat umzusetzen? In ihrer ureigensten Aufgabe, der Caritas, darf die Kirche nicht nachlassen. In der Caritas manifestiert sich die Hinwendung zur Welt als Liebe zu den Menschen. Nein, die katholische Kirche darf nicht wanken. Wir müssen auch selbstbewußt genug sein, um den notorischen Fragestellern unserer Zeit klare Antworten zu geben und ihnen notfalls das Wort im Munde herumzudrehen. Demnach stellt sich nicht die Frage, wann die Kirche reif für den Zeitgeist wird. Die Frage lautet, ob der Zeitgeist reif ist für die reine Lehre der Kirche. Ist er es nicht, kann jeder einzelne gleich heute damit beginnen, sich die Gnade der Kirche zu erschließen. Die Portale stehen dafür weit offen.

In dem caritativen Aufruf „Brot für die Welt“ treffen wir auf die Liebe der Kirche zu den Menschen. Das Brot ist eines der zentralen Elemente des Lebens in der Überlieferung des Evangeliums. Es prägt daher den Alltag des Menschen wie kaum eine andere Lebensgrundlage. Brot ist elementar. Wer nicht mehr „das Brot im Haus“ hat, sieht auf das Ende. Als noch dringlicher erfahren wir natürlich die Notwendigkeit des Wassers, auf die es hier jedoch nicht ankommen soll. Der Bergsteiger weiß, warum er das Brot in seiner Reinheit schätzt. Das Brot wird in der Kargheit von Fels und Eis zum Symbol des Lebens schlechthin. Es wird zum Eigentlichen, wo der Überfluß besiegt wurde. Auch im Refektorium des Klosters Metten nimmt das Brot eine zentrale Stellung ein. Es wird zu jeder Mahlzeit gereicht. Das stattliche Viertel eines Leibes steht dort aufrecht in einer hölzernen Schale, zu seinen Füßen ein langes Wellenmesser. Dieses einfache Gebinde besitzt Aufforderungscharakter und gewährt gleichzeitig Freiheit. Zum einen besteht die Freiheit darin, den Brotkorb freundlich dem Nachbarn weiterzuleiten, was in der Fastenzeit häufiger geschieht. Greift einer zu, hat er der Aufforderung nachgegeben, nicht ohne erneut vor der Wahl zu stehen, nämlich, der, wie dick denn die Scheibe sein soll, die er abschneidet. Das entspricht jedes Mal einem kleinen Kampf mit dem Gewissen: Wie viel von dem, was mir der Herr darbietet, darf ich annehmen? Wäre es angemessen, Zurückhaltung zu üben und damit dem Herrn zu gefallen? Dieses innere Ringen beschäftigt auch denjenigen, der das Brot bricht, wobei dem Brechen des Brotes eine viel zentralere, ja heiligere Bedeutung zuwächst, die wir mit der Spende des Heiligen Geistes verbinden. Jesus Christus selbst war es, der das Brot brach und an seine Jünger verteilte. Die herausragende Stellung desjenigen, der das Brot bricht, wird ein weiteres Mal dadurch erhöht, daß er die Brotstücke an die Tischrunde verteilt. Im Refektorium des Klosters Metten wird das Brot von jedem Mönch selbst portioniert und geteilt – ein wohltuender Vorgang verbindender Tischkultur.

Greifen wir aber noch einmal den Gedanken des „Brotes für die Welt“ auf. Wenn wir im „Vaterunser“ beten, „unser tägliches Brot gib uns heute“ meinen wir damit zweierlei. Zum einen liegt natürlich die vordergründige Hoffnung auf der Hand, daß wir genügend zu essen haben. Zum anderen rücken wir der übertragenen Bedeutung des Wortes näher, indem wir darum beten, daß Jesus Christus unser tägliches Brot werden, also sich uns durch seinen Leib offenbaren möge. Der Kirche als unsere Heimat sowie den Klöstern als Quell christlicher Spiritualität fällt eine zentrale Aufgabe zu, nämlich die Christenheit über den Segen des Brotes um sich zu scharen.

Das Brot ist, so können wir festhalten, ein unverzichtbares Element des Eigentlichen. Es ist ein Stück Heimat, wie wir sie im Ganzen in Kirche und Kloster finden. Der Alpinist findet das Brot in seinem Rucksack, der Daheimgebliebene auf dem Tisch seines Hauses unter dem Herrgottswinkel. Nahe meiner Heimat Moosbach im Bayerischen Wald kaufen wir unser Brot von einem nahegelegenen Bauernhof. Es wird dort im Holzofen gebacken. Die Bäuerin nutzt noch einen alten Stempel aus Familienbesitz, mit dem sie jeden Laib vor dem Backen mit dem Monogramm des Herrn versieht: IHS – Jesus Christus Erlöser.

Die Klöster speichern die Gnade der Entweltlichung seit zweitausend Jahren. In der Spiritualität der Mönche entsteht eine Abstrahlwirkung auf die sündhafte Welt. Die Mönche zeigen uns, daß es ein Leben lang erstrebenswert bleibt, Stundengebet und Liturgie mit der Arbeit in gesunden Einklang zu bringen. Das Gebet wirkt also auf doppelte Weise nach innen und nach außen. Gerade die Außenwirkung ist für den Fortbestand der Kirche als Mutter der Gläubigen von unschätzbarem Wert. Es gab in der Geschichte mehrfach Anlaß zur Sorge, ob Ordensgemeinschaften und Klöster überleben würden. Im Zeitalter der Säkularisation und in den dunklen Diktaturen wurde zerstört, was der Glaube errichtet hatte. Zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist es der maßlose Materialismus, der unseren Horizont verfinstert. Doch es gibt Anlaß zur Hoffnung. Junge Leute wenden sich ab von dieser Düsternis – sie streben zum Licht des Herrn. Es wird nicht mehr viel Zeit ins Land gehen, bis sich die Chorgestühle wieder füllen werden – aus Freude, Jesus Christus zu dienen. Diese jungen Menschen sind und bleiben natürlich Kinder der Globalisierung. Sie aber werden es sein, die dem wirren Umhertreiben durch eine Identität in Gott einen Rahmen, ja, einen Sinn geben.

Solange Kirche und Klöster bestehen, braucht das Abendland nicht um seine Identität zu bangen. Es wird vom Pulsschlag des Glaubens abhängen, wie intensiv die prägende Wirkung christlicher Identität wirkt! Der Einzelne ist immer Teil des Ganzen. Er kann deshalb jedoch nicht aus seiner Verantwortung vor Gott entlassen werden, alles nach seinen Möglichkeiten zu tun, damit die Kirche als Lordsiegelbewahrer des Glaubens zu einem Ort der täglichen Inspiration wird. Wir müssen wieder lernen, der Anziehungskraft der Kirche zu erliegen. Aus dem Glauben muß ein Sog entstehen, der uns zu Gott treibt. Nur so läßt sich die vom Heiligen Vater beklagte „Diktatur des Relativismus“ überwinden. Freiheit des Glaubens bedeutet doch nichts anderes als den immerwährenden Versuch, uns dem Joch des zersetzenden Relativierens zu entwinden. Daher kann die Erneuerung der Kirche als Fels und Schild gegen chaotische Beliebigkeit immer nur von Gott, durch seinen Sohn Jesus Christus, also durch den Weg über das Kreuz, erfolgen. Die Erneuerung der Kirche beginnt in uns selbst, indem wir Gott in uns suchen und die Umkehr von der Maßlosigkeit zur Demut vollziehen. Ohne Demut wird uns Gott entgleiten. Die Beliebigkeit einer aufgeklärten Zeit, die Umwälzungen stets „von unten“ erreichen will, kann innerhalb einer Kirche zu Abspaltungen und Meinungskämpfen führen, mit dem Ergebnis, dass die konsequente Liebe zu Jesus Christus verkümmert. Noch einmal sei an dieser Stelle in aller Deutlichkeit hervorgehoben: Es fehlt an Demut!

In dem Leben der Mönche liegt eine besondere Hinwendung zur Demut, der edelsten aller Tugenden. Dieses Streben erfüllt die Mönche mit einer tiefen Freude, die ich auch ohne Worte täglich gespürt habe. Heute werden die unterschiedlichsten Seminare zur Tiefenentspannung angeboten. Meditationen sollen die im Hamsterrad Gebeutelten wieder zur Besinnung bringen. Ach, wenn die Menschen doch häufiger unsere Klöster besuchen würden! Der Reichtum der Psalmen könnte uns so leicht heilen, wenn wir diesen Schatz, der sozusagen vor unserer Haustüre liegt, nur heben würden! Beten scheint völlig aus der Mode gekommen. Man braucht dazu keine komplizierte Anleitung. Wir müssen nur den ersten Schritt tun und zu Gott sprechen. Er wird uns ganz sicher verstehen.

Das Tragen als Lebensform des Alpinisten ist in Wahrheit Glauben als Lebensform. Das Kreuz auf sich zu nehmen und den Schmerz der Entsagung zu ertragen, geschieht aus innerster Einsicht, aus tiefster Liebe zu Gott. Diese Entsagung hat etwas von innerem Leerwerden. Es ist ein Leerwerden für Gott, wie es mir im Kloster begegnet ist. Das ist gar nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint. In einem Leben der Fülle kann die Leere geradezu bedrohlich wirken. Man muß es aushalten, dieses Nichts, dieses ewige Schweigen in der Stille, wenn wir nur noch auf uns selbst zurückgeworfen und mit Gott allein sind. Gott ist ein Meister der sanften Töne, die wir nur allzu gern überhören, weil wir es in unserer lauten Welt verlernt haben, auf dem Klavier der leisen Töne zu spielen. In die Stille hineinzuhören, ist eine Kunst, die immer mehr verloren geht. Im Kloster Metten können wir sie wieder erlernen.

Ich bin fest davon überzeugt, daß immer mehr junge Menschen aus wachsendem Überfluß und aus unserer Oberflächlichkeit ausbrechen und den Sinn ihres Lebens darin sehen wollen, Gott in der Stille suchen. Dort, wo die Dinge immer komplizierter werden, hat nur das Einfache Erfolg. Unsere Seele braucht das Einfache. Sie muß leer werden für Jesus Christus. Darin liegt doch das Wunder der Klöster in unserer Zeit: Sie bieten einen Ort der Liebe, an dessen Mauern die Räuber des Eigentlichen, die Information und die Mobilität, scheitern. Ein Kloster bietet der Leere für Gott eine Heimat, die die mütterliche Wirkung der Kirche noch übersteigt. Gut informiert zu sein oder sich im Informationsdschungel zu verlieren sind übrigens zweierlei. Auch die Mönche lesen natürlich Zeitung. Aber sie lassen sich nicht von ihr verwirren.

Im einfachen Leben für Gott entfalten wir den Gegenentwurf zu den Konzepten gewinnorientierter Macher zur Höchstform. Wir beten freiwillig zu Gott und entsagen der sündigen Verführung aus Einsicht. Vor diesem Hintergrund muß auch der Begriff der Freiheit vollkommen neu verstanden werden. Allein deshalb braucht sie auch heute Grenzen. Freiheit bedeutet Unabhängigkeit von weltlicher Drangsal. Zum 85. Geburtstag Papst Bendikts XVI. antwortete Peter Seewald auf die Frage, welche Charakterzüge Joseph Ratzingers für ihn im Vordergrund stünden: „Die seiner Einfachheit, seiner Demut, die in so krassem Gegensatz steht zur Verkomplizierung der Welt und zum Hochmut einer Gesellschaft, die sich selbst zum Maß aller Dinge macht. Bei Ratzinger ist alles mittig. Und zwar nicht im Sinn von mittel-mäßig, sondern im positiven von Mitte und Maß. Diese Linie der Mitte ist bei genauerem Hinsehen nicht etwa die leichteste der Übungen, sondern die schwerste.“

Die sieben Tage im Kloster waren für mich wie die sieben Tage einer neuen, inneren Schöpfung. Ich möchte die Spiritualität des Klosters weiter in meinem Herzen tragen. Daher betrachte ich nicht nur das Stundengebet als eine Gnade, sondern auch den Gedanken, mich dem Kloster Metten als Benedikitineroblate in besonderer Weise zu verpflichten.

Unsere Freiheit besteht darin, uns bewußt für Gott zu entscheiden. Wir tun dies, um einen kleinen Beitrag zu leisten, damit das Abendland wieder zu seiner Mitte findet. Wir stehen täglich vor dieser Wahl, wie alle geistlichen Würdenträger, wie auch der in weltlichem Lohn und Brot stehende Gläubige, der in entregelter Zeit die Regel sucht und um fünf Uhr morgens zum Stundengebet anhebt. Er schafft damit eine spirituelle Verbindung zu den Mönchen. Wer einmal um fünf Uhr Morgens gebetet hat und Gott begegnet ist, wird immer wieder um diese Nähe ringen. Er bewältigt den Aufstieg zur Seele, ob er Alpinist ist, oder nicht. Er wird am Abend eines Tages nicht eher ruhen, bis er in der Komplet zu Gott gebetet hat: „Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben“.

______________________________________________________