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„Entwicklung ist das neue Wort für Frieden“

Beim Neujahrsempfang von Kloster und Markt Metten fand Staatssekretär a.D. Dr. Albert Schmid mutige Worte

Nach den Feierlichkeiten zum 1.250jährigen Gründungsjubiläum der Benediktinerabtei Metten im vergangenen Jahr richtete der diesjährige Neujahrsempfang den Blick auf die Bedeutung der katholischen Kirche in einer auseinanderdriftenden Welt.

Abt Wolfgang Hagl begrüßte in der Sporthalle des Klosters Metten etwa 270 geladene Gäste, darunter Politiker aus dem Regierungsbezirk Niederbayern, Bürgermeister aus den umliegenden Gemeinden, Vertreter der Behörden und Schulen aus dem Landkreis Deggendorf, Mitglieder weltlicher und kirchlicher Vereine und des Marktrates Metten, sowie Angestellte und Arbeiter des Klosters und die Vertreter der Presse.

Der Neujahrsempfang von Kloster und Markt fand zum zweiten Mal statt und begründete damit, wie Abt Wolfgang hervorhob, „eine kleine Tradition.“ Er habe, ebenso wie Bürgermeister Erhard Radlmaier, die erste Veranstaltung in so positiver Erinnerung, daß man gerne daran anknüpfen wolle. Um die Aufgaben des Neuen Jahres zu meistern, wünschte Abt Wolfgang allen Anwesenden Geduld und Gottvertrauen.

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Selbstlosigkeit christlichen Handelns

Abt Wolfgang dankte den ehrenamtlichen Helfern, die sich in verschiedensten Initiativen, Foren und Kreisen engagierten oder im Chor mitsängen, herzlich für ihre gelei-stete Arbeit: „Metten braucht Sie! Bleiben Sie bitte dem Ehrenamt treu und engagieren Sie sich weiterhin in Ihrem Bereich! Großen und innigen Dank für alles, was Sie für uns und unsere Heimat tun!“

Der Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, Bernd Siebler, dankte in seinem Grußwort dem Kloster Metten für die zeitweise Bereitstellung der Sporthalle in der besonders kritischen Anfangsphase der Flüchtlingshilfe. Das Kloster habe beispielhaft, ebenso wie die unzähligen ehrenamtlichen Helfer der Marktgemeinde Metten, den caritativen Aspekt der christlichen Nächstenliebe mit Leben erfüllt.

Dr. Albert Schmid, der Festredner des Abends, ist Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern. Er blickt auf eine lange politische Karriere zu-rück, war unter anderem beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau unter Bundeskanzler Helmut Schmidt, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag und später Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg. Dr. Albert Schmid hielt eine bemerkenswert offene Ansprache.

Christliches Handeln, hob er an, sei immer dem Gemeinwohl verpflichtet und mit Blick auf die ehrenamtlichen Aufgaben müsse man lobend hervorheben, daß darin die Selbstlosigkeit unseres Tuns sichtbar hervor-trete.

Zu Beginn eines Neuen Jahres wende man sich natürlich der Zukunft zu, jedoch nicht, um freiheitstrunken immer neuen Wünschen zu folgen, sondern, wie es der Journalist Helmut Markwort einmal ausgedrückt habe, das zu sehen, was wirklich sei: „Fakten, Fakten, Fakten…“. Jesus Christus habe sich allen Menschen zu-gewandt. Allen Kulturen, allen Erdteilen, allen Verzweifelten und allen Hoffenden.

Helmut Markwort hatte seiner Aussage einst noch einen zweiten Halbsatz hinzugefügt, den wir hier ergänzen dürfen: „…und immer an die Leser denken.“ Die Leser, das sind die Menschen, die Albert Schmid sicher im Sinn hat, ebenso wie die katholische Kirche, wenn sie beklagt, daß das post-faktische Bewußtsein global um sich greift.

Geplatzte Hoffnungen

Was war geschehen? Weshalb bleibe heute die Wahrheit in einem Scherbenhaufen zurück? Albert Schmid sprach von gewaltigen, noch immer zunehmenden weltlichen Fliehkräften, vom Zuwachs des Trennenden, von gefährlicher Polarisierung, vom Anspruch irdischer Größe, von Kriegen vor unserer Haustüre und von einer Übersteigerung des Materialismus wie auch von kapitalistischen Auswüchsen menschenverachtenden Ausmaßes.

In der Tat – der digitale Traum vom Wissen für alle, die Versuchung, im technischen Fortschritt die Erlösung vom menschlichen Leid zu sehen, der Glaube an Formeln und an die Berechenbarkeit des Lebens – all diese Vorstellungen hatten sich in der Hoffnung gebündelt, die Menschen würden zu einer globalen Einheit gelangen, in der die Liebe Einzug halte.

Das ganze Ausmaß der Enttäuschung, den diese zerschlagenen Hoffnungen hinterlassen hätten, lasse sich an den neuen Machtzentren der Welt ablesen, an der Tatsache, daß Milliardäre die Welt regierten und Oligarchien wie in Russland, China und nun auch in den USA, enttäuschte Menschen mit den Worten köderten: „Wir sind wieder jemand.“

Auf die Regel des heiligen Benedikt bezogen können wir sagen, daß den Weltenlenkern das Maß der Mitte abhanden gekommen ist. Der Traum vom Zusammen-rücken der Menschen ist zum Albtraum geworden, weil die Gemeinsamkeit fehlt, welche wahre Menschlichkeit ausmacht – die Kraft der Liebe. Dazu gesellt sich der Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten des Menschen. Marktstrategen und Börsenspekulanten reden uns ein, es gebe keine Grenzen für Wohlstand und Fortschritt. Man muß aufpassen, bevor man so etwas behauptet. Unbegrenzte Möglichkeiten? Sind die Möglichkeiten des Menschen wirklich unbegrenzt? Wer glaubt, sieht und versteht. Wer glaubt, versteht, weil er auf Gottes Wort hört. Im Hören auf das Wort verflüchtigt sich die naive Vorstellung, dem Menschen sei alles möglich, sehr rasch. Und doch, empörte sich Schmid, gebe es für etliche, die immer reicher würden, keine andere Logik als die maßlose Vermögensanhäufung ohne finanzwirtschaftlichen Hintergrund. Das geschehe zu Lasten der Abgehängten, der von Massenarmut Befallenen, die heute und morgen zu Migranten würden. Und selbst die notwendige Hilfe für Migranten könne nicht unbegrenzt sein.

Wenn die geistliche Krise in der allgemeinen Maßlosigkeit besteht, wenn die Menschen also auseinander-rücken, anstatt aufeinander zuzugehen, dann muß man die Lösung dieser geistlichen Unbehaustheit im Maßhalten suchen. Die Regel des heiligen Benedikt, wie sie im Kloster Metten gelebt wird, ist 1.500 Jahre alt – und doch so aktuell wie nie.

Freiheit und Toleranz gingen in Deutschland so weit, daß beide mißbraucht würden. Zum Beispiel habe der Islam in bestimmten Regionen gegenüber unserer staatlichen Gerichtsbarkeit eine eigene, auf den Koran gestützte Rechtsprechung, geschaffen. Und Albert Schmid fügte hinzu, er habe nie die Empörung verstanden, die Papst Benedikt XVI im September 2006 nach seiner Regensburger Vorlesung wegen eines islamkritischen Zitats des byzantinischen Kaisers Manuel II Palaeologos entgegengeschlagen sei. Unter anderem hieß es in dem Zitat, Mohammed habe vorgeschrieben, den Glauben, den er predige, durch das Schwert zu verbreiten. Dem Christentum komme es darauf an, zu einen, nicht zu trennen, hob Schmid hervor.

Was folgt auf die post-faktische Zeit?

Es gab eine Epoche, die stolz darauf war, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Man kann den Eindruck gewinnen, als habe sich die Hoffnung, in grenzenloser Freiheit und hemmungslosem Kapitalismus läge der Heilsplan für den Menschen, endgültig zerschlagen. Nicht jeder, der sich des eigenen Verstandes bedient, versteht, was Gott vom Menschen will. Erst wenn sich zum Verstand die Vernunft gesellt, vermag der Mensch mit Geist, Herz und Seele Gottes Heilsplan für die Welt zu erkennen.

Über weite Strecken erinnerte die Ansprache von Albert Schmid an eine Predigt. Immerhin hatten den späteren „königlich bayerischen Sozialdemokraten“ in seinen frühen Jahren geistliche Studien in St. Ottilien geprägt – fast wäre er Priester geworden. Daß er sich anders entschied, kommt heute den vielen frommen Katholiken in Bayern auf weltlicher Ebene zugute. Unsere verhaltensunsichere Zeit braucht keine falschen Propheten, sondern scharfsinnige Seher. Wer die Deformationen im globalen menschlichen Gefüge sieht, nimmt auch die Zerknirschtheit der Seele wahr. Generell verfügt er über die Gnade des Verstehens. Auf der maßlosen Jagd nach Gewinn und persönlichem Vorteil verfestigen sich die Fronten zwischen den Menschen, die glauben, zwischen denen, die noch fern sind von Gott und denen, die andere als Ungläubige bekämpfen. Katholiken sind aufgerufen, die Gnade des Verstehens mit anderen Menschen zu teilen. Darin liegt, gerade in einer Phase entfesselter Übersteuerung des Materiellen, der ständige Auftrag der Gläubigen.

Wenn also die Epoche der Aufklärung den Menschen sich selbst näher brachte, dann entfernte sie ihn gleichzeitig von Gott. Müßten wir dann nicht, den Gedanken der Aufklärung weiterentwickelnd, sagen: „Habe Mut, dich deines Glaubens zu bedienen?“ Dient dieser Glaube nicht der wahren Annäherung an die Liebe Jesu Christi, die in allen Menschen eingesenkt ist, egal wo sie leben oder herkommen?

Ist nicht die katholische Kirche der größte Globalisierer? Der universelle Anspruch von Freiheit und Wohl-stand für alle hat sich zuallererst und ausschließlich an der Wahrheit der unerschöpflichen Liebe zu orientieren. Dies erfordert vor allem geistige und geistliche Entwicklung, aus der Frieden erwachsen kann, der als Frieden des Herzens die wachsende Kluft zwischen arm und reich überbrückt. Albert Schmid zitierte Papst Paul VI, der 1967 in seiner Enzyklika „Populorum Progressio“ (über die Entwicklung der Völker) den Gedanken formulierte: „Entwicklung ist das neue Wort für Frieden.“ Darin begegne uns erneut, hob Schmid hervor, daß sich Jesus Christus allen Menschen offenbart habe.

Unsere von selbstgeschaffenen Ideologien, diesen seltsamsten Kindern menschlicher Willkür, beherrschte Zeit ist dem Glauben an eine göttliche Offenbarung nicht hold. Sie wähnt zu wissen. So braucht sie den Glauben nicht. Mehr noch: er ist ihr im Wege. Sie will die Welt und die Dinge der Welt durch Wissen und technisches Können beherrschen. Hier darf offenbar keiner dreinreden, auch Gott nicht.

Hoffnung auf die katholische Kirche

Papst Paul VI habe einen geistlichen Impuls ausgesendet, der damals noch nicht in voller Tragweite verstanden worden sei, hob Schmid hervor. In ihrem falsch verstandenen Selbsterhaltungstrieb spottet die Zeit der unbegrenzten Möglichkeiten der Offenbarung und weiß doch nicht, was ihr wahrhaft zum Frieden dient.

Die katholische Kirche solle heute, wie sie es im ersten, zweiten und dritten Jahrhundert nach Christi Geburt getan habe, das Zusammenrücken der Welt geistlich zusammenfassen, indem sie auf die Fragen, was uns heute zum Frieden dient, die richtigen Antworten gebe.

Solange wir den Glauben und die Hoffnung nicht verlieren, wird immer alles gut. Papst Benedikt schreibt in der Enzyklika „Spe salvi“ (Auf Hoffnung hin gerettet): „Gerade das Beschenktwerden gehört zur Hoffnung. Gott ist das Fundament der Hoffnung.“ Nichts anderes will die katholische Kirche: weltweit Hoffnung verbreiten, Vertrauen schenken und Zuversicht vermitteln, bevor unsere Epoche am Materialismus zerbricht.

Durch die Gnade Gottes sind wir Beschenkte. Wie wir beschenkt werden, liegt nicht in unserer Hand. Papst Benedikt fährt fort: „Gottes Reich ist kein imaginäres Jenseits einer nie herbeikommenden Zukunft, sein Reich ist da, wo er geliebt wird und wo seine Liebe bei uns ankommt. Seine Liebe allein gibt uns die Möglichkeit, in aller Nüchternheit immer wieder in einer ihrem Wesen nach unvollkommenen Welt standzuhalten, ohne den Elan der Hoffnung zu verlieren.“

Bevor Bürgermeister Erhard Radlmaier in seinem Grußwort die unverzichtbare Arbeit der ehrenamtlichen Helfer in der Marktgemeinde würdigte, erinnerte er den Festredner Albert Schmid daran, daß er „seine Uhr vergessen“ habe. Doch Albert Schmid wußte auch so, welche Stunde geschlagen hatte. Seiner klaren, mutigen Sprache ist es zu verdanken, daß wir die katholische Kirche als ein Kraftzentrum begreifen dürfen, das die geistliche Krise der Menschen in post-faktischer Zeit zu überwinden vermag. Die katholische Kirche eint die Menschen in der Liebe, anstatt sie in der Gier einander zu entfremden. Das deutlich zu sagen, konnte kein gelungenerer Start in das Neue Jahr sein, wie von vielen Gästen während des anschließenden Empfanges im Sudhaus bestätigt wurde.