„Typisch Deggendorf?“ ‒ Mettener Schüler fragen nach

Exkursion der Mettener Gymnasiasten ins Deggendorfer Russlands-Deutschen-Haus

„Wo ist das eigentlich?“, lässt sich eine verdutzte Schülerstimme vernehmen, als die durch das Russlands-Deutschen-Haus führende Frau Elsa Marker gerade von der sibirischen Stadt Omsk erzählt. Nach einem aufklärenden Blick auf die am Haus befestigte Landkarte erklärt Frau Marker, selbst Russland-Deutsche aus Kasachstan, den rund 85 Gymnasiasten der 10. Klassen nicht nur Aufbau und Funktion der Nachbildung des Hauses, in dem sie sich befinden. Sie unterlegt ihre Ausführungen auch mit persönlichen Erfahrungen aus dem täglichen Leben in ihrer alten Heimat, die ihr doch nie richtige Heimat war. Gleichgültig ob sie vom über lange Zeit schwierigen Verhältnis der bis zu zwei Millionen  Deutschen in der Sowjetunion zur Staatsführung spricht, oder über die heimliche Glaubenspraxis der tiefgläubigen deutschen Gemeinden in ihren kleinen Gebetsräumen, über die Mühen der täglichen Arbeit oder über die eigene Auseinandersetzung mit nationalen Stereotypen im kommunistischen Vielvölkerstaat – durchwegs lauschen die Schülerinnen und Schüler ergriffen. Besonders die Darstellung der Enteignung der besitzenden deutschen Bevölkerung nach der Oktoberrevolution sowie der Einlieferung der Deutschen in Stalins Arbeitslager jagt den Schülern kalte Schauder über den Rücken. Vergleichbare Geschichten von zu Hause kennen sie nicht, und auch das schlichte Leben haben sie nie selbst kennengelernt.

Umso wertvoller erweist sich die Begegnung mit dieser Zeitzeugin, deren Geschichte uns doch um vieles näher steht als es die öffentliche Wahrnehmung wahrhaben will. Keine russische Geschichte wird hier vor Augen geführt, sondern deutsche Geschichte – Geschichte, die in Deggendorf schon lange Gegenwart geworden ist. 16 Prozent der Deggendorfer Bevölkerung führen ihre Abstammung mittlerweile auf russlanddeutsche Wurzeln zurück und leben seit beinahe 20 Jahren hier. Pfarrer Gottfried Rösch, einer der führenden Initiatoren der Ausstellung, strich gegenüber den Schülern die große Bedeutung der russlanddeutschen Integration in unserem Landkreis heraus und verwies auf den kulturellen wie volkswirtschaftlichen Beitrag dieser Bevölkerungsgruppe für unser aller Lebenswelt. Leicht sei es, vor allem in Krisenzeiten, Vorurteile zu schüren über Menschen, deren Wille zum Weitermachen, zum Neuanfang und zur Eigeninitiative manch Alteingesessenem als Vorbild dienen könnte. Unterstützt wurde Rösch bei seinen Ausführungen von Christiane Schäfer und Jakob Hamburg, zwei sympathischen jungen Deggendorfer Schülern aus russlanddeutschen Familien, die ganz unkompliziert und offen von ihren Erfahrungen berichteten und somit den Mettener Schülern den Zugang zur Thematik erleichterten.

Abgerundet wurde der vormittägliche Besuch bei einer gemeinsamen Teezeremonie, die von Freiwilligen aus dem Kreise der Russland-Deutschen organisiert wurde, sowie bei einem Rundgang durch die Ausstellung „Spurensuche“ im Stadtmuseum, wo Fotos der Künstler Horst Schäfer, Ursula Trebitz und Andreea Varga gezeigt werden. Mit ihrem Fokus auf die eigene Fremdwahrnehmung gaben diese Kunstwerke den Schülern einen abschließenden Anlass zur Reflexion, die in den kommenden Sozialkunde- und Geschichtsstunden noch reichlich Anlass zum Gespräch mit ihren Lehrern, Steffen Kritsch und Dr. Ernst Schütz, geben wird.